Der VERN erhält selten gewordene oder nicht mehr genutzte Sorten von Kulturpflanzen. Im Saatgutarchiv des VERN werden 2.000 verschiedene Herkünfte von Sorten erhalten, die nicht mehr im regulären Saatguthandel oder Erwerbsanbau verfügbar sind. Dazu zählen insbesondere Gemüse- und Getreidesorten sowie besondere Zierpflanzen und Kräuter. Wir greifen hierbei auf Sammlungen in Genbanken zurück oder bewahren Fundstücke, die ihren Weg zu uns aus Privatgärten gefunden haben. Im Zentrum steht für uns, die biologische Vielfalt im landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Produktionsprozess für die Zukunft zu bewahren.
1992 unterzeichneten ca. 180 Staaten (darunter Deutschland) das Übereinkommen über die Biologische Vielfalt (Rio de Janeiro, 1992). Damit haben sie sich verpflichtet sich auch für den Erhalt der Kulturpflanzenvielfalt einzusetzen. Europäische Aktionspläne und Nationale Fachprogramme weisen Wege, wie dies geschehen kann. Einer dieser Wege ist der Wiederanbau und die Vermehrung von alten und seltenen Kulturpflanzen – wissenschaftlich: On farm Management von pflanzengenetischen Ressourcen. Im Gegensatz zur Erhaltung der Nutzpflanzen in Genbanken steht bei uns im Vordergrund die Sorten wieder zu verbreiten und in die Nutzung zu bringen. Durch den regelmäßigen Anbau und die kontinuierliche Vermehrung können sich die Pflanzen an ihre Umgebung immer wieder anpassen. Die Sorte bleibt lebendig!
Warum ist es wichtig, alte Sorten zu erhalten?
Durch den züchterischen Fortschritt werden kontinuierlich neue Sorten entwickelt. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie den aktuellen Anbaubedingungen optimal entsprechen, einen besseren Ertrag bringen oder resistent gegen die wichtigsten Krankheitserreger sind. Diesen Fortschritt haben die alten Sorten nicht mehr “mitbekommen”. Man kann sich also zurecht fragen, warum die Erhaltung dieser Sorten überhaupt so wichtig ist. Sehr viele Gründe sprechen dafür:
- Sie sind eine wesentliche Quelle von genetischer Vielfalt für die zukünftige Pflanzenzüchtung.
Mit dem Beginn der modernen Pflanzenzüchtung vor über 100 Jahren wurde nur ein Teil der ursprünglichen genetischen Variation der damals vorhandenen Sorten genutzt, um neue „Hochleistungssorten“ durch Auslese zu schaffen. In alten Sorten schlummert noch eine genetische Variation, die in der Zukunft wichtig sein kann. So können durch veränderte Umweltbedingungen oder veränderte Qualitätsvorstellungen, wie dem Wunsch nach mehr Geschmack, auch neue Zuchtziele zum Tragen kommen. So wurde im 20. Jahrhundert bei der Züchtung neuer Gemüsesorten Wert auf hohen Ertrag, aber nicht auf den Geschmack gelegt. Somit sehen moderne Sorten gut aus, haben aber keinen markanten Geschmack. Alte Sorten mit ausgeprägten Geschmackseigenschaften sind für Neuzüchtungen eine Quelle für Gene, die für charakteristischen Geschmack sorgen können. - Die Erhaltung alter Sorten wirkt dem Verlust an Vielfalt entgegen
75 % der Kulturpflanzenvielfalt gingen im letzten Jahrhundert nach Schätzungen der FAO weltweit verloren. Durch historische Recherchen konnten für Deutschland fast 7.000 Gemüsesorten und Arten ermittelt werden, die zwischen 1836 bis 1956 genutzt wurden. Davon gelten ca. 75 % als verschollen. Ungefähr 8 % der Sorten sind heute noch als “Traditionssorten” zugelassen. Die restlichen 17 % der Sorten werden nur noch in Genbanken oder bei Erhaltungsinitiativen wie dem VERN e.V. erhalten. Sie sind stark gefährdet und werden als Rote-Liste-Sorten bezeichnet. Der Verlust weiterer seltener und gefährdeter alter Sorten lässt sich durch Anbau und Nutzung vermeiden. - Alten Sorte bringen eine Wiederbelebung der Formenvielfalt
Die Farben- und Formenvielfalt alter Tomatensorten erfreut sich heute weitgehender Beliebtheit. Bei den Möhren gewinnen die verschiedenen Farben alter Sorten neue Aufmerksamkeit, beim Blattgemüse sind es die buntgesprenkelten Forellensalate. Beim Kohl erweitern alte Sorten wie der ‘Altmärker Braunkohl’ als hochstämmiger Blattkohl oder ‘Riesen Hoher Blauer’ als Markstammkohl das Formenspektrum über Kopfkohle, Blumenkohl, Kohlrabi etc. hinaus. Beim Getreide bringen alte Sorten wie der Champagnerroggen wieder hochwüchsige Bestände auf die Felder. - Der Anbau alter Sorten und untergenutzter Arten fördert die biologische Vielfalt
Eine Reihe Kulturarten werden nur noch selten angebaut. Sie werden deshalb als untergenutzt bezeichnet. Beispiele sind Gartenmelde, Haferwurzel oder auch Hirse, bei denen alte Sorten für eine breitere Nutzung verfügbar sind. Ihr Anbau erweitert das genutzte Artenspektrum und fördert somit die biologische Vielfalt in Feld und Garten. - Alte Sorten sind ein kulturelles Erbe
Alte Sorten haben ihren Wert als Kulturgut, denn sie sind durch menschliche Kreativität entstanden. Die Kombination ihrer Eigenschaften ist dabei für jede Sorte absolut einzigartig und schützenswert. In ihnen spiegeln sich sowohl die Ansprüche der jeweiligen Epoche an ihre Kulturpflanzen als auch eine entsprechende zeitgenössische Anbaupraxis. Manche alte Sorten sind für bestimmte Regionen identitätsstiftend wie das Teltower Rübchen oder die Bamberger Hörnchen, eine Kartoffelsorte.
Auch das Wissen über traditionellen Samenbau und Sortenerhaltung gehören zum Kulturgut.
Sorten sind Untergruppen/Varianten von einer Kulturpflanzenart mit bestimmten Eigenschaften und Merkmalen. Das können äußere Merkmale an Blatt, Frucht, Wurzel oder Blüte sein. Es kann sich aber auch um Anbaueigenschaften handeln. Weiterhin ist jede Sorte durch eine für sie besondere Züchtungsgeschichte und einen Namen gekennzeichnet. Sorten sind das Ergebnis langjähriger Auswahlprozesse durch den Menschen. Damit sind sie Ausdruck der menschlichen Kreativität und Teil unseres kulturellen Erbes.
Genbanken sind Saatgutbibliotheken, in denen die genetische Vielfalt von Kulturpflanzen durch Sicherung von Saat- und Pflanzgut in Kühlhäusern erfolgt. Der Umfang der Sammlungen ist in der Regel enorm. Die Muster (= Saatgut-/Pflanzgutproben) können über viele Jahre sehr kühl gelagert werden bis die natürlicherweise nachlassende Keimfähigkeit eine Regeneration erfordert. Dafür werden die Muster angebaut, um frisches Saatgut zur erneuten Einlagerung zu gewinnen. Diese Art der Erhaltung wird auch ex situ-Erhaltung genannt. Im Vordergrund steht so viele genetische Ressourcen wie möglich zu erhalten. Die mit über 150.000 Mustern größte Genbank in Deutschland ist das IPK-Gatersleben (siehe www.ipk-gatersleben.de)
Abgrenzung und Beschreibung von Sorten
Für moderne Sorten ist der Sortenbegriff über das Saatgutverkehrsgesetz und das Sortenschutzgesetz streng geregelt. Wer die Zulassung einer Sorte bzw. Sortenschutz für eine Sorte beantragt, ist dafür verantwortlich, dass die beschriebenen Merkmale über den Zeitraum, in dem die Zulassung/ der Sortenschutz gewährt wird, konstant erhalten bleiben. Die Eigenschaften der Sorte müssen durch eine kontinuierliche Erhaltungszüchtung gesichert werden.
Alte Sorten sind nicht mehr zugelassen und es besteht auch kein Sortenschutz mehr. In der Regel wurde ihr Sortenbild nicht mehr durch Erhaltungszucht gepflegt. Bei Sorten, die schon längere Zeit nicht mehr genutzt werden, sind die Abgrenzung und eindeutige Beschreibung deshalb oft gar nicht so einfach. Das kann zum einen daran liegen, dass nur sehr wenige historische Informationen über die Sorte vorhanden sind oder diese widersprüchlich sind. Zum anderen kann es im Laufe der Zeit zu Verkreuzungen oder Inzuchteffekten gekommen sein, die das besondere Sortenbild verdecken.
Abbildung 2: Historische und aktuelle Abbildung der Sorte ‘Grochlitzer lange’ – Bildquellen: Hofmann, Joh. Thom. (1932): Wertvolle Gemüsesorten in bunter Folge (links) und Bundessortenamt (rechts)
Verkreuzung: Man spricht davon, dass eine Sorte verkreuzt ist, wenn bei der Blüte unabsichtlich Pollen anderer Sorten oder Wildpopulationen zur Befruchtung beigetragen haben. In den nachfolgenden Generationen ist das Sortenbild dann meist nicht mehr typisch, da auch die Eigenschaften der anderen Sorte zum Vorschein kommen. Das typische Sortenbild muss in Folge durch gezielte Selektion wieder herausgearbeitet werden.
Inzuchteffekte treten bei Fremdbefruchtern auf, wenn der Pflanzenbestand bei der Saatgutvermehrung zu klein gewesen ist. Aus den daraus wachsenden Samen entstehen oft weniger robuste oder wüchsige Pflanzen.
Die Praxis der Sortenerhaltung
Für jede Kulturpflanzenart unterscheidet sich die Art und Weise wie die Saatgutvermehrung von Statten geht. Alle Methoden eint, dass nur geeignete Pflanzen als Eltern für die folgenden Generationen ausgewählt werden. Die Pflanzen sollen möglichst gesund und vital sein und die sortentypischen Eigenschaften erfüllen. Die Selektion der besten Pflanzen aus einem Bestand wird seit Jahrtausenden von Menschen praktiziert. In den letzten 100 Jahren haben sich die Methoden in der Pflanzenzüchtung weiterentwickelt, doch dieses Grundprinzip bleibt nach wie vor bestehen.
Die beiden Salatköpfe unten rechts unterscheiden sich komplett von den restlichen Salatköpfen im Bestand und entsprechen auch nicht der Sortenbeschreibung. In der Vergangenheit kam es möglicherweise zur Verkreuzung mit einer anderen Salatsorte oder dem wilden Kompasslattich. Um das Sortenbild zu erhalten werden diese beiden Köpfe geerntet bevor sie schossen und Blüten bilden.
Aus dem Vermehrungsbestand werden die Knollen ausgewählt, die die sortentypische Form und Farbe aufweisen. Im Anschluss wird jede einzelne Knolle angeschnitten und verkostet um übermäßig scharfe oder unangenehm schmeckende Radieschen auszuselektieren. So können nur schmackhafte Radieschen ihre Gene an die folgende Generation weitergeben.
Es gibt Nutzpflanzen, die nicht über das Saatgut, sondern in Form von Ablegern, Wurzelteilung oder Rhizomen vermehrt werden. Dazu zählen beispielsweise Kartoffeln und Erdbeeren. Diese Form der Vermehrung wird Pflanzgutvermehrung genannt. Im Folgenden werden die verschiedenen Formen der Saatgutvermehrung beschrieben. Insbesondere unterscheiden wir zwischen Selbstbefruchtern und Fremdbefruchtern sowie zwischen einjährigen und zweijährigen Kulturen.
Sortenerhaltung von Selbstbefruchtern
Die Befruchtung findet durch den Pollen der gleichen Blüte statt. Verkreuzungen mit anderen Sorten sind also weniger wahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Es ist beispielsweise im Freiland keine Seltenheit Hummeln an Erbsenblüten zu beobachten. Wenn mehrere Erbsensorten im Einzugsbereich dieser Hummel zur gleichen Zeit blühen und der Pollen der anderen Sorte an ihrem Körper haftet, kann es zur Verkreuzung kommen.
Die meisten Selbstbefruchter sind bei der Saatgutvermehrung pflegeleicht und eignen sich auch für die Saatgutvermehrung im Privatgarten. Sie sind auch weniger anfällig für Inzuchteffekte. Tomaten (außer Fleischtomaten), Salat, Bohnen und Erbsen zählen beispielsweise zu dieser Kategorie
Der Griffel und die Staubblätter sind unter den weißen Flügeln verborgen um Insekten möglichst an der Bestäubung mit Pollen von fremden Pflanzen zu hindern.
Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Erbse#/media/Datei:Doperwt_rijserwt_bloemen_Pisum_sativum.jpg
Sortenerhaltung von Fremdbefruchtern
Die Befruchtung findet durch den Pollen einer anderen Pflanze statt. Hier gibt es viele verschiedene Mechanismen, die zur Bestäubung und Befruchtung führen. Die Pollen können beispielsweise durch den Wind (z. Bsp. bei Roter Bete) oder durch Insekten (z. Bsp. bei Kürbis) verbreitet werden.
Hier ist es wichtig zu beachten, dass es nicht zur Verkreuzung mit anderen Sorten oder Wildpflanzen (Kompasslattich, Wilde Möhre) kommt, da sonst die wertvollen und mühsam erhaltenen Sorteneigenschaften verschwinden können. Beim VERN benutzen wir Isoliernetze, wenn wir mehr als zwei Fremdbestäubersorten gleichzeitig vermehren oder Sorten der gleichen Art in der Nähe (beispielsweise beim Nachbarn) zu erwarten sind.
Möhren gehören zu den insektenbestäubten Fremdbefruchtern, die erst im zweiten Jahr eine Blüte ausbilden. Um die Bestäubung mit anderen Möhrensorten und mit der wilden Möhre zu verhindern, wird um den Bestand ein Isoliernetz gespannt. Nun können die Blüten nicht mehr von Insekten außerhalb des Netzes bestäubt werden. Die Bestäubung innerhalb des isolierten Bestandes erfolgt beim VERN durch Fliegen, die in das Zelt gesetzt werden. Bildquelle: HNEE
Handelt es sich um eine zweijährige Gemüseart (z. Bsp. Kohlgemüse, viele Wurzel- und Knollengemüse), bilden die Pflanzen im ersten Jahr lediglich Blätter und Wurzeln aus und beginnen erst im nächsten Jahr mit der Blüte. Um die Pflanzen im Winter vor Frost und Wildtieren zu schützen, müssen die Samenträger eine für sie geeignete Überwinterung bekommen. Das erfolgt zum Beispiel in einem kühlen Keller in Sandkisten oder getopft und mit Stroh geschützt im leeren Folientunnel.
Eine weitere Herausforderung bei den Fremdbestäubern ist, dass sie stärker anfällig sind für Inzuchteffekte, weshalb die Vermehrung in größeren Beständen (mind. 50 – 100 Pflanzen) erfolgen muss. Aufgrund der notwendigen Isolierung, der Überwinterung und der großen Bestände eignen sich Fremdbestäuber deshalb oft weniger für die Erhaltung im Hausgarten.
Eigenes Saatgut vermehren. Sorten selber erhalten
Wer alte Sorten im eigenen Garten oder auf dem Balkon anbaut, kann sich an der Vielfalt der Formen und Farben erfreuen. Bei einigen Arten ist die eigene Saatguternte sehr einfach, sodass eine beliebte Sorte auch in den kommenden Jahren aus selbst gezogenen Samen angebaut werden kann.
Ziel des VERN ist es mehr Menschen zur eigenen Saatgutgewinnung zu ermutigen und ihnen das nötige Wissen hierzu zu vermitteln
Hier kann man mehr darüber lernen:
Zum Nachlesen
Heistinger, Andrea (2010): Handbuch Samengärtnerei. Sorten erhalten, Vielfalt vermehren, Gemüse genießen. Arche Noah; ProSpecieRara (Hrsg.), Löwenzahn Verlag, ISBN 978-3-7066-2352-0
Lehmann, Cornelia (2016): Leitfaden zur On-farm Erhaltung alter Gemüsesorten, erstellt im Rahmen des Modell- und Demonstrationsvorhabens (MuD) “On-farm Erhaltung von alten Gemüsesorten durch den Aufbau eines Netzwerks” in Zusammenarbeit mit dem Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen (VERN e.V.)
Saatgutkurse
Seit vielen Jahren bieten wir den Grundkurs zur Saatgutvermehrung in unserem Schau- und Vermehrungsgarten in Greiffenberg an. Dieser Kurs vermittelt Grundlagen zur Saatgutvermehrung und erhaltungszüchterischen Bearbeitung traditioneller Nutzpflanzen im Garten. Die drei Kurstage bauen so aufeinander auf, dass wir die Arbeitsschritte von der Aussaat bis zur Samenernte vom Frühjahr bis Spätsommer kennenlernen. Auf Anfrage organisieren wir gern weitere Kursangebote zu gesonderten Terminen für Gruppen ab zehn Personen.