Verlängerung der Ernteperiode bei Kulturtomaten

Teil 1: Historie

Von Heinz-Dieter Hoppe (Recherchen bis 26.11.2023)

Die Kulturtomate, Solanum lycopersicon, ist temperaturempfindlich. Bereits bei Temperaturen unter 8 – 12° C kommt es im Regelfall zu Schädigungen an den Pflanzen, eine Bestäubung findet nicht mehr statt. Ein ökologisch sinnvoller Anbau ist daher nur unter günstigen klimatischen Bedingungen im Freiland oder im Kalthaus möglich. Zu präferieren ist ein Anbau im Freiland, da dort die intensivsten Geschmacksausprägungen zu erwarten sind. Allerdings besteht unter unseren klimatischen Bedingungen die Gefahr, dass vor dem 15. Mai gepflanzte Kulturen unter Kältestress leiden oder völlig absterben.

Die ideale Tomatenpflanze sollte daher frostfest oder mindestens kältetolerant sein. Wenn sie auch noch Frühreife aufweisen könnte, wäre das perfekt. Pflanzenzüchter müssen sich daher geeignete Selektionsmethoden ausdenken bzw. nutzen, um den unterschiedlichen Zuchtzielen gerecht zu werden. Auf Frühreife erfolgte schon sehr frühzeitig eine Selektion (Tschermak 1916), auch Kreuzungsversuche zwischen frühreifenden und kompakten Formen mit determiniertem Wachstum wurden ab dem Ende des 19. Jahrhunderts durchgeführt (Yeager 1927).

Versuche zur Selektion von kältetoleranten Tomatenformen erfolgten in Deutschland ab den 1930er Jahren und setzten sich bis in die 1950er Jahre fort.

Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung in Müncheberg

Reinhold von Sengbusch arbeitete von 1929 bis 1937 am Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung in Müncheberg. Seine bekanntesten Arbeiten führte er an Lupinen durch. Er entwickelte eine Schnellbestimmungsmethode zur Selektion von alkaloidarmen bzw. alkaloidfreien Einzelpflanzen aus bitteren Lupinenlandsorten (Sengbusch 1953). Von Sengbusch entwickelte in kurzer Zeit eine neue Kulturpflanze. Auf ihn gehen die heute angebauten Süßlupinen zurück.

Von Sengbusch arbeitete an unterschiedlichen Kulturarten, so wurden unter seiner Leitung auch Tomatenversuche durchgeführt. Nachkommenschaften aus Kreuzungen zwischen Solanum pimpinellifolium (damals als racemigerum bezeichnet) und verschiedenen Sorten von Kulturtomaten bildeten das Ausgangsmaterial (Hackbarth et al. 1933; Sengbusch 1935, 1940). Aus dem Kreuzungsmaterial wurden Genotypen hinsichtlich verschiedener Merkmale selektiert. Im Fokus standen insbesondere Frühreife, Frostresistenz und Lagerfähigkeit. Am erfolgreichsten gestaltete sich die Suche nach frühreifenden Genotypen (Hoppe 2022). Noch nach über 80 Jahren befinden sich Sorten im Anbau, die auf das Müncheberger Zuchtmaterial zurückgehen. So zum Beispiel ‘Gardener’s Delight‘ (syn. ‘Benarys Gartenfreude‘), die immer noch bei Benary im Angebot ist (Ernst Benary Samenzucht 2023). Ferner die ‘Quedlinburger Frühe Liebe‘ (syn. ‘Frühe Liebe‘), die als Amateursorte in Europa zugelassen ist (EUPVP 2023). Die letztgenannte Sorte fungiert in den Erhalterringen des VEN (Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt) auch als Reifestandard.

Immer wieder faszinierend sind der Einfallsreichtum von von Sengbusch bezüglich Versuchsaufbau und Selektionsmethodik. Bei der Selektion auf eine Kombination von Frühreife und Ertrag nutzte er die positive Korrelation zwischen der Fruchtknotengröße in der Blüte mit der späteren Fruchtgröße (Sengbusch 1935). Dadurch war eine frühzeitige Selektion von großen Pflanzenzahlen möglich, ohne dass die Pflanzen ausreifen mussten. Auch für die Selektion auf Frosttoleranz ließ er sich etwas einfallen. Er schreibt dazu:

„Wir unterscheiden als Ursache für tiefe Temperaturen Strahlungsfrost und Kaltlufteinbruch. Die typischen Spät- und Frühfröste sind ausgesprochene Strahlungsfröste, d. h. bei unbedecktem Himmel kommt es durch Ausstrahlung zu einer starken Abkühlung der Erdoberfläche. Wenn bei dieser Abkühlung die Temperatur unter 0° sinkt, haben wir es mit einem Strahlungsfrost zu tun. In der Regel sinkt die Temperatur im Laufe der Nacht langsam ab, erreicht den Tiefpunkt bei Sonnenaufgang und steigt dann bei aufgehender Sonne schnell an. … Bei den Strahlungsfrösten kühlt sich die Luft direkt über der Erdoberfläche stark ab. Ist das Gelände eben, bleibt die Kaltluft als verhältnismäßig dünne Schicht über dem Boden liegen. Ist das Gelände geneigt, fließt die Kaltluft dem tiefsten Punkt des Geländes zu. Sie bildet hier sog. Kaltluftseen, in denen die tiefsten Temperaturen an der tiefsten Stelle des Geländes liegen.“

Entsprechend der beschriebenen physikalischen Gegebenheiten entwickelte er gemeinsam mit Rudolf Schick einen speziellen Frostzuchtgarten. Dieser verlief von einer Anhöhe als breites Band in eine Senke hinein. Bei Strahlungsfrösten ergaben sich Temperaturdifferenzen zwischen dem tiefsten und höchsten Punkt von 3 – 4° C (Abb. 1 und 2).

Abb. 1: Anlage des Frostzuchtgartens. Die zu prüfenden Stämme wurden in langen Reihen parallel zum Hang aufgepflanzt (entnommen aus Sengbusch 1940).

Abb. 2: Je frostwiderstandsfähiger eine Sorte war, desto tiefer in die Senke hinein musste sie ungeschädigt bleiben (entnommen aus Sengbusch 1940).

Abb. 3: Sorte ‘Immun‘, eine Kompaktform (Foto: Gisa und Heinz-Dieter Hoppe).

Abb. 4: Sorte ‘Sperls Zukunft‘, eine Buschtomate mit determiniertem Wuchs (Foto: Gisa und Heinz-Dieter Hoppe).

Die Prüfung auf Frostresistenz wurde im Herbst vorgenommen. Dazu erfolgte die Aussaat der Tomaten im Juni, die Pflanzung Anfang August. Erste Fröste traten damals in der Regel Ende September, Anfang Oktober am Standort auf. Das Zuchtziel war wahrscheinlich eine verlängerte Ernteperiode bis in den späten Herbst hinein.

Allerdings verliefen die Versuche sehr ernüchternd. Es konnten im getesteten Zuchtmaterial keine frosttoleranten Genotypen selektiert werden.

Institut für gärtnerische Pflanzenzüchtung und Samenbau Weihenstephan

In den 1950er Jahren erfolgen unter Leitung von Josef Becker-Dillingen umfangreiche Selektionsversuche zur Auffindung frostresistenter Tomatenformen an der der Staatlichen Lehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau (Institut für gärtnerische Pflanzenzüchtung und Samenbau) in Weihenstephan (Becker-Dillingen und Barg 1954). Der damalige Direktor des Instituts J. Becker-Dillingen ist insbesondere über sein Buch „Handbuch des gesamten Gemüsebaues“ bekannt. Welches in mehreren Auflagen von 1924 bis 1956 erschien. Es dient heute immer noch als Nachschlagwerk für engagierte Gärtner.

Ab 1952 erfolgte die Testung von Kompakt- und Buschformen sowie Stabtomaten (Becker-Dillingen und Barg 1954). Becker-Dillingen fasst unter der Bezeichnung Kompakttomaten die Kompakt- und Buschformen zusammen. Wobei unter Kompakttomaten wahrscheinlich kleinbleibende Formen mit indeterminiertem/semideterminiertem und Buschtomaten mit determiniertem Wuchstyp gemeint sind.

Es handelte sich bei den Kompakttomaten um Nachkommenschaften aus Weihenstephaner Kreuzungen und ihren Vergleichssorten (‘Heinemanns Jubiläum‘, ‘Immun‘, ‘Prof. Rudloff‘, ‘Sperls Zukunft‘) (Abb. 3 und 4). Für den Versuch mit Stabtomaten wurde die Sorte ‘Rheinlands Ruhm‘ genutzt. Der Anbau erfolgte nach dem üblichen Prozedere: Aussaat, Anzucht (Pikieren, Eintopfen, Abhärten) und Pflanzung ins Freiland.

Im ersten Versuchsjahr wurde auch das Verhalten der oberirdisch erfrorenen Pflanzen untersucht:

„Um etwaige Regenerationserscheinungen beobachten zu können, wurden alle Pflanzen auf dem Felde belassen, die „frostresistenten” hingegen nach 2 Tagen sorgfältig ausgehoben und als Samenträger auf eine kleine Parzelle gepflanzt. In der Folgezeit trieben 80% der oberirdisch erfrorenen Pflanzen aus der Wurzel wieder durch. Die Wurzeln waren also vom Frost nicht beschädigt worden. Der Habitus dieser Pflanzen war sparrig infolge des fehlenden Haupttriebes. Im Übrigen war ihr Ertragsverlust gering, allerdings um 4 Wochen verspätet, die Früchte aber sehr gut ausgebildet, Samenertrag und Samenkeimung normal.“

Der Umfang der Weihenstephaner Selektionsversuche wird in Tab. 1 dargestellt. Beeindruckend sind hier die großen Pflanzenzahlen. Ein immenser personeller und technischer Aufwand, ohne dass die Erfolgschancen klar sind:

Tab. 1: Daten aus den Selektionsversuchen zur Frostresistenz von Kulturtomaten der Jahre 1952, 1953 und 1953/54 in Weihenstephan (Becker-Dillingen und Barg 1954).


Abb. 5: Lycopersicon hirsutum (nach neuer Nomenklatur Solanum habrochaites), eine kälteresistente, grünfrüchtige Tomatenwildart (Foto: Klaus-Peter Schurz).

Auch in Weihenstephan scheinen die umfangreichen Testungen von Zuchtmaterial nicht zum erhofften Erfolg geführt haben. Die Autoren präsentieren ihre Ergebnisse 1954 noch sehr zuversichtlich (Becker-Dillingen und Barg 1954). Spätere Publikationen zur Frostresistenz konnten leider nicht gefunden werden.

Firbas aus dem Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung Köln-Vogelsang schlussfolgerte aus seinen eigenen Untersuchungen, dass in den Kulturformen der Tomate keine Frostresistenz zu finden ist (Firbas 1960). Eine erfolgreiche Züchtung auf Frostresistenz ist nur durch Einkreuzung mit frostresistenten Wildarten möglich. Hierbei scheint insbesondere die Wildart Lycopersicon hirsutum von Interesse zu sein (Abb. 5) (Patterson et al. 1978; Oyanedel et al. 2001; Tepe et al. 2022).


Literaturverzeichnis

Becker-Dillingen, J.; Barg, T. (1954): Arbeiten zur Gewinnung frostresistenter Tomatenformen. In: Der Züchter 24 (9), S. 252–256.

Ernst Benary Samenzucht (2023): Solanum lycopersicum L. Gardener’s Delight | Benary. Online verfügbar unter https://www.benary.com/products/solanum-lycopersicum-l-benarys-gartenfreude/benarys-gartenfreude-p9971, zuletzt aktualisiert am 11.11.2023, zuletzt geprüft am 11.11.2023.

EUPVP (2023): COMMON CATALOGUE – Varieties of agricultural plant and vegetable species. Online verfügbar unter https://ec.europa.eu/food/plant-variety-portal/, zuletzt aktualisiert am 26.11.2023, zuletzt geprüft am 26.11.2023.

Firbas, H. (1960): Betrachtungen zum Problem der Frostresistenzzüchtung von Tomaten. In: Der Züchter 30 (1), S. 1–2.

Hackbarth, J.; Loschakowa-Hasenbusch, N.; Sengbusch, R. v. (1933): Die Züchtung frühreifer Tomaten mittels Kreuzungen zwischen Solanum lycopersicum und Solanum racemiger. In: Der Züchter 5 (5), S. 97–105.

Hoppe, H.-D. (2022): Müncheberger Tomaten. Online verfügbar unter https://vern.de/muencheberger-tomaten/, zuletzt aktualisiert am 02.12.2022, zuletzt geprüft am 02.12.2022.

Oyanedel, E.; Wolfe, D. W.; Monforte, A. J.; Tanksley, S. D.; Owens, T. G. (2001): Using Lycopersicon hirsutum as a source of cold tolerance in processing tomato breeding. In: Acta Hortic. (542), S. 387–391.

Patterson, B. D.; Paull, R.; Smillie, R. M. (1978): Chilling Resistance in Lycopersicon hirsutum Humb. & Bonpl., A Wild Tomato With a Wild Altitudinal Distribution. In: Aust. J. Plant Physiol. 5 (5), S. 609–617.

Sengbusch, R. v. (1935): Die Müncheberger Tomatenarbeiten. Müncheberg. Online verfügbar unter https://pure.mpg.de/rest/items/item_39081_6/component/file_52548/content, zuletzt geprüft am 15.04.2021.

Sengbusch, R. v. (1940): Tomatenzüchtung. Frostwiderstandsfähigkeit, Lagerfähigkeit, Hochglanz der Fruchtschale und Zwergformen. In: Pflanzenbau 17 (5), S. 143–152.

Sengbusch, R. v. (1953): Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte unserer Nahrungs-Kulturpflanzen unter besonderer Berücksichtigung der Individualauslese. In: Der Züchter 23 (12), S. 353–364.

Tepe, Akin; Gözen, Volkan; Kabas, Aylin; Topcu, Volkan; Çinar, Orçun (2022): The Performances of Some Tomato Pure Lines under Cold Stress in the Vegetative and Generative Stage. In: Horticultural Studies 39 (2), S. 56–62.

Tschermak, E.v. (1916): Der gegenwärtige Stand der Gemüsezüchtung. In: Zeitschrift für Pflanzenzüchtung 4, S. 65–104.

Yeager, A. F. (1927): Determinate growth in the tomato. In: Journal of Heredity 18 (6), S. 263–265.

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